Le Temps (23.12.2019) - Der London Inter Bank Offered Rate, kurz Libor, ist für die Anleger so wichtig wie der Kompass für die Seeleute: ein unverzichtbares Instrument, das die Richtung vorgibt.

Dieser Referenzzinssatz, der seit 1986 täglich in London veröffentlicht wird und auf dem Finanzverträge in Höhe von 300’000 Milliarden Dollar basieren, wird Ende 2021 zusammen mit den anderen Interbankensätzen IBOR abgeschafft. Ab dem 1. Januar 2022 werden der Libor und die IBOR von Indizes abgelöst, welche die täglichen risikolosen Referenzzinsen widerspiegeln. Laut dem Financial Stability Board sollten diese transparenter und «robuster» sein. In der Schweiz wird ab diesem Datum der sogenannte SARON (Swiss Average Rate Overnight) als Referenz für den Kreditmarkt dienen.

Diese Reform, die sich als die grösste Herausforderung für den Finanzsektor abzeichnet, hat politische Gründe und technische Ursachen.

Sie ist die direkte Folge der von gewissen Marktteilnehmern vorgenommenen Manipulationen, deren Aufdeckung 2011 hohe Wellen schlug. Die nationalen Arbeitsgruppen, die sich dem Dossier gewidmet haben, hätten die existierenden Indizes beibehalten und die Kontrolle über die Banken verstärken können, deren Aufgabe es ist, die IBOR-Sätze zu berechnen. Das Festhalten am Status Quo hätte aber nicht die gewünschten Auswirkungen, vor allem in Bezug auf das Image gehabt. Seit der Finanzkrise 2008 verlangt die breite Öffentlichkeit, dass die Aufsichtsbehörden für mehr Transparenz sorgen.

Die aus politischer Sicht gerechtfertigte Abschaffung des Libor ist auch aus technischen Gründen notwendig. Die Krise von 2008 hat gezeigt, dass der unbesicherte Interbankenmarkt unter extremen Bedingungen fast sofort austrocknen kann und dadurch die Berechnung der IBOR verunmöglicht. Der SARON in der Schweiz und die in anderen Ländern entwickelten Alternativen zu den IBOR sollen in solchen Situationen Abhilfe schaffen.

Weder die einen noch die anderen sind aber Wundermittel – die Umstellung auf das neue Modell ist komplex und seine Umsetzung sehr kostspielig.

Die grösste Schwäche des Libor ist, dass seine Berechnung auf den von den Banken geschätzten Zinsen basiert, mit denen sie sich Geld auf dem Interbankenmarkt leihen können. Diese Methode beinhaltet ein gewisses Mass an Ungewissheit, was die breit angelegten Manipulationen zwischen 2005 und 2009 ermöglichte.

Das unter der Leitung der Regulierungsbehörden, darunter die SNB, für die Schweiz entwickelte Modell basiert dagegen auf der Erfassung der im Laufe der 24 vorangehenden Stunden tatsächlich angewandten Zinsen . Diese rückwärtsgerichtete Methode (sogenanntes Backward Looking) zielt darauf ab, eine objektive Schätzung der auf jedem Finanzplatz angewandten risikolosen Zinsen zu bieten. Die Regulierungsbehörden haben die Erfassung und Zusammenlegung der zwischen den Marktteilnehmern verwendeten Sätze an unabhängige Institutionen delegiert, beispielsweise für die Berechnung des schweizerischen SARON an die SIX. Damit gehen sie auf Nummer sicher, dass die «alternativen» Referenzindizes, kurz ARR (Alternative Reference Rates) nicht durch falsche Schätzungen verzerrt werden.

Schon heute sind die weitreichenden Auswirkungen dieser Reform absehbar. Diese wird sowohl die Kredite vergebenden Institute als auch die Kreditnehmer beeinflussen, denn die Gesamtheit der gegenwärtig verwendeten Kreditverträge müssen geändert und den neuen Anforderungen angepasst werden. Und diese Anforderungen sind noch nicht endgültig festgelegt. Da die neuen Indizes nur die Vergangenheit berücksichtigen, widerspiegelt ihr Wert weder das Gegenpartei-, noch das Volatilitäts- oder das Marktänderungsrisiko. Diese sind aber grundlegende Faktoren in der Bestimmung der anzuwendenden Sätze.

Vorerst bemüht sich jede nationale Arbeitsgruppe, die Gesamtheit dieser Parameter in eine relativ einfache Formel zu integrieren. Diese Vorgehensweise setzt nicht nur die Definition eines neuen Referenzindexes ARR voraus, sondern auch die Entwicklung einer Methode zur Bestimmung der Faktoren, die zu berücksichtigen sind. Ausserdem sind die Zinsanpassungen zu berechnen, die für die Umstellung in der Nacht vom 31. Dezember 2021 erforderlich sind.

Zu diesen Anpassungen gehören der Static Credit Spread Adjustment (SCSA), der für jede der üblichen Laufzeiten berechnet wird und für die neuen Indizes zu berücksichtigen ist. Dieser spezifische Spread ist Gegenstand einer breit angelegten Befragung unter den internationalen Banken, die vom ARRC (Alternative Reference Rates Committee) durchgeführt wird, das von der US-Notenbank gegründet wurde. Im November veröffentlichte auch die ISDA (International Swaps and Derivatives Association) einen Bericht zu diesem Thema. Die beiden Instanzen haben sich verpflichtet, ab dem ersten Quartal des nächsten Jahres funktionsfähige Empfehlungen zu formulieren.

Die Lösung, die sich hoffentlich durchsetzen wird, sollte die grösstmöglichst objektive Methode für die Berechnung der Kosten für die von den Banken aufzubringenden Liquiditäten ermöglichen. Diese umfassen einen Zins, der auf dem neuen Marktindex basiert und zu dem der SCSA, die Liquiditätsprämie, die Risikoprämie der Gegenpartei und schliesslich die Kreditmarge addiert werden.

Diese Reform, die von der begrüssenswerten Absicht der Regulierungsbehörden ausgeht, wird zur Einführung eines extrem komplexen Apparats führen. Für die Banken wird sie im Hinblick auf die Erarbeitung der Dokumentation und der Anpassung der Informatiksysteme massive Kosten mit sich bringen. Doch die Transparenz hat ihren Preis und es gibt kein Zurück mehr.

So riesig diese Herausforderung auch ist, sie muss von den Finanzmärkten gemeistert werden.

Dem Schweizer Finanzplatz gibt sie die Möglichkeit zu beweisen, dass sich das richtige Gleichgewicht zwischen Verantwortungsbewusstsein und Wettbewerbsfähigkeit finden kann.