Der Sommer ist in vollem Gange, und mit ihm kommt die Saison der Halbjahresergebnisse der Schweizer Banken. Diese Mitteilungen weisen manchmal eine Fülle von Abkürzungen wie CET1, LCR oder NSFR auf, allesamt Finanzkennzahlen, mit denen die Zahlungsfähigkeit einer Bank berechnet werden kann.

Sich in diesem Abkürzungsdschungel zurechtzufinden, ist nicht immer einfach. Damit Sie den Durchblick behalten, erklären wir Ihnen alles, was Sie schon immer über diese Messzahlen wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten.

Es ist Aufgabe der Regulierungsbehörden, aber auch von Finanzanalysten, die Zahlungsfähigkeit von Banken zu bewerten. Sie können sich dabei auf eine ganze Reihe von Kennzahlen abstützen. Die bekannteste ist wohl die Eigenmittelquote: Sie misst das Verhältnis zwischen den verfügbaren Eigenmitteln einer Bank – hauptsächlich bestehend aus dem Stammkapital und den Gewinnrücklagen, abzüglich allfälliger Goodwills – und den gesamten risikogewichteten Aktiva.

Diese Quote muss für kleinere, regionale Banken mindestens 10,5% für systemrelevanten Banken 12,8% betragen. Zudem kann die FINMA je nach Finanzinstitut zusätzliche Anforderungen aufstellen. Die Eigenmittel sind dazu da, mögliche finanzielle Verluste abzufedern und in Krisenzeiten die Stabilität der Bank aufrechtzuerhalten.

Liquiditätspuffer

Mit der Liquiditätsdeckungsquote (Liquidity Coverage Ratio, LCR) soll sichergestellt werden, dass eine Bank über einen ausreichenden Liquiditätspuffer verfügt, um grosse Mittelabflüsse innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen zu bewältigen. Die LCR misst also die Fähigkeit eines Finanzinstituts, einen Bank-Run zu überstehen, und muss über 100% liegen.

Die langfristige Finanzierungsquote (Net Stable Funding Ratio oder NSFR) bewertet die strukturelle Widerstandsfähigkeit einer Bank und zeigt, ob sie über ausreichend stabile Mittel verfügt, um ihren Bedarf über einen Zeitraum von einem Jahr zu decken. Die NSFR muss ebenfalls über 100% liegen.

Die Verschuldungsquote (Leverage Ratio) schliesslich misst die Zahlungsfähigkeit einer Bank, indem sie deren Kernkapital mit ihren nicht risikogewichteten Aktiva beziehungsweise ihrem Gesamtengagement vergleicht. Sie muss im Allgemeinen über 3% liegen, um sicherzustellen, dass die Bank nicht zu grosse Risiken eingeht.

Bei den Vermögensverwaltungsbanken liegen diese Kennziffern aufgrund ihrer Geschäftsmodelle und ihrer Geschäftsführung in der Regel weit über den vorgeschriebenen Mindestwerten.

Den Aufsichtsbehörden steht also eine ganzes Instrumentarium zur Verfügung. Allerdings sind regionale Unterschiede zu beobachten. Während Europa – einschliesslich des Vereinigten Königreichs und der Schweiz – einheitliche Vorschriften erlassen hat, ist dies in den USA nicht der Fall. Europäische Banken müssen die im Basel-III-Regelwerk festgelegten höheren Quotenanforderungen erfüllen, während für kleinere US-Banken lediglich die Anforderungen von Basel I gelten. Wären alle Banken den gleichen Vorschriften unterstellt, wäre der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank wahrscheinlich verhindert worden: Ihre LCR war hoch genug, aber nicht ihre NSFR, was ein Warnsignal hätte sein müssen.

Wie die Verabschiedung von Basel III als Reaktion auf die Finanzkrise von 2008 gezeigt hat, nehmen die Aufsichtsbehörden fortlaufende Anpassungen vor. Ihre Anforderungen entwickeln sich im Gleichschritt mit Ereignissen und technologischen Neuerungen weiter. So wurden beispielsweise die Schweizer Vorschriften für die Vergabe von Hypotheken nach der Immobilienkrise der 1990er Jahre verschärft. Obwohl diese Vorschriften von den Befürwortern von privatem Wohneigentum oft kritisiert werden, haben sie sehr wahrscheinlich dazu beigetragen, eine Überhitzung des Marktes und eine Welle von Zahlungsausfällen – und damit von Privatkonkursen – zu verhindern, als die Zinssätze Ende 2021 stiegen.

Angesichts des Ausmasses der wirtschaftlichen und geopolitischen Schwierigkeiten der vergangenen Jahre kann man sagen, dass die Bankenaufsichtsbehörden ihre Aufgabe erfüllt haben. Dank der verschiedenen Finanzkennzahlen und der Stresstests, die von den Zentralbanken und Aufsichtsbehörden eingeführt wurden, um die Fähigkeit der Banken zu simulieren, extremen wirtschaftlichen und finanziellen Bedingungen standzuhalten, werden die Risiken in Bezug auf die Eigenmittel der Banken und ihre Fähigkeit, Verluste aufzufangen, angemessen bewertet. Ein weiteres Beispiel wird wahrscheinlich bald die Neubewertung des Liquiditätsrisikos liefern, da derzeit geprüft wird, was bei der Berechnung der LCR als hochwertige liquide Aktiva (HQLA) gilt.

Gefahren können auch anderswo lauern

Obwohl die neuen Technologien von einigen gefürchtet werden, sollten sie es den Banken erleichtern, sich in Echtzeit einen umfassenden Überblick über ihre Bilanz zu verschaffen. Sie sollten auch die Regulierungsbehörden und Zentralbanken dabei unterstützen, ihre Aufsichtsfunktion noch präziser und schneller zu erfüllen. Innovationen sind nicht per se ein Risiko: Es kommt darauf an, wie sie eingesetzt werden.

Natürlich ist die IT-Panne, die im Juli den ganzen Planeten lahmlegte, eine schmerzhafte Erinnerung daran, dass Technologie nicht zu 100% zuverlässig ist. Ebenso schützen Finanzstandards nicht vor allen Risiken. Reaktionsfähige Institutionen, Zentralbanken, Regulierungsbehörden und Politiker sind zweifellos die beste Lösung, mit bisher unbekannten Gefahren umzugehen. Viele Fallstricke lassen sich durch eine gute Portion gesunden Menschenverstands und eine konservative Einstellung vermeiden. Schliesslich kann man, wie das Sprichwort besagt, nie vorsichtig genug sein.