Le Temps - (03.04.2023) - Wieder erschüttert eine Vertrauenskrise den Bankensektor. Deshalb ist es besonders wichtig, sich auf die Analyse der Fundamentaldaten zu besinnen und die strukturellen Unterschiede zwischen den Akteuren dieser Branche zu betrachten.
Universalbanken richten sich an eine diversifizierte Kundschaft und bieten dieser die gesamte Palette der grundlegenden Finanzdienstleistungen an. Diese Dienstleistungen, zu denen auch die Kreditvergabe gehört, erfordern hohe Eigenmittelreserven, weshalb diese Institute sich oft an den Kapitalmärkten finanzieren müssen und sich entsprechenden Risiken aussetzen.
Privatbanken sind dagegen oft «Pure Player» und ihr Kerngeschäft ist der Schutz und die Übertragung der Kundenvermögen auf lange Sicht. Dies erfordert spezialisierte Vermögensverwaltungs- und Vermögensplanungsdienste, bei denen die Kreditgewährung einen niedrigeren Stellenwert innehat. Privatbanken bieten in erster Linie sogenannte Lombardkredite, die eine Alternative zu klassischen Darlehen und eine natürliche Ergänzung zur Portfolioverwaltung darstellen. Der Kunde erhält gegen die Verpfändung seines Portfolios eine Kreditfazilität. Manchmal gewähren Privatbanken auch Hypotheken, beispielsweise im Rahmen eines spezifischen Immobilienprojekts eines Kunden.
Die Geschäftstätigkeit der Privatbanken erfordert somit weniger Eigenkapital, weshalb sie selten an den Kapitalmärkten aktiv werden. Schweizer Privatbanken verfügen in der Regel über eine grössere Kapitalbasis, sie sind also grundsätzlich stabiler, was in zwei wichtigen regulatorischen Ratios zur Geltung kommt: Die Mindestliquiditätsquote (LCR) und die strukturelle Liquiditätsquote (Net Stable Funding Ratio, NSFR). Nach der Finanzkrise von 2008 durch den Basler Ausschuss für Bankenaufsicht eingeführt, zielen diese Messzahlen darauf ab, das Liquiditätsrisiko der Banken zu bestimmen, also ihre Fähigkeit, ihre Finanzverpflichtungen nachzukommen, selbst wenn sie mit ihren Investitionen Verluste verzeichnen oder es zu einem massiven Rückzug der Kundeneinlagen kommen sollten oder sie ihre Aktiven nicht in Liquiditäten umwandeln können.
Ausreichende Eigenmittel
Die kurzfristige Mindestliquiditätsquote LCR misst die Fähigkeit einer Bank, während dreissig Tagen ihre Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen und erfordert eine 100%ige Unterlegung der Verbindlichkeiten mit genügend erstklassigen liquiden Vermögenswerten. Die zweite Säule der Basler Reform bildet die auf längere Sicht angelegte NSFR. Sie trat in der EU und in der Schweiz im Jahr 2021 in Kraft, soll die finanzielle Stabilität einer Bank auf lange Sicht garantieren und muss mindestens 100% betragen.
Ungeachtet ihrer Grösse oder der Art ihrer Geschäftstätigkeit müssen europäische und Schweizer Banken diese Mindestanforderungen einhalten, da diese eine gesunde Bewirtschaftung der Bilanz gewährleisten. In der Regel liegen die LCR und NSFR der Universalbanken nahe am regulatorischen Minimum von 100%. Jene der Privatbanken liegen meist höher, was mit dem Wesen ihrer Geschäftstätigkeit einhergeht. Am Finanzplatz Genf beträgt der LCR-Durchschnitt etwa 200%.
Unterschiedliche Ursachen, ähnliches Schicksal
In den USA dagegen wurden infolge der Verwässerung des Dodd-Frank-Gesetzes durch die Trump Administration, Banken, die weniger als USD 250 Milliarden verwalten, von der Einhaltung gewisser Ratios wie LCR und NSFR befreit. Wäre der Geltungsbereich nicht eingeschränkt worden, hätte ein Frühwarnsystem den Kollaps der Silicon Valley Bank (SVB) – USD 206 Milliarden Vermögen – am 10. März aufgrund mangelnder Liquidität verhindern können.
Ihr Untergang wurde durch eine schlechte Bilanzverwaltung ausgelöst. Die SVB hielt einen Grossteil ihrer Liquiditäten in US-Staatsanleihen mit mittlerer und langfristiger Laufzeit ohne eine Zinsrisikoabsicherung vorzunehmen, wodurch sie angesichts der getätigten Zinserhöhungen stille Lasten hielt. In den Passiven der SVB waren Anleihen mit einer kürzeren Laufzeit als jene der Staatspapiere verbucht, was bei Anwendung der Ratios nicht möglich gewesen wäre. Weil die Buchungsvorschriften die Bank zwangen, ihre stillen Verluste anzuerkennen, wurde ihre finanzielle Stabilität gefährdet. Der Vertrauensverlust unter den Kunden hatte einen massiven Abzug ihre Einlagen zur Folge. Angesichts der Unfähigkeit der SVB, diese auszuzahlen, griff die amerikanische Bankenaufsicht ein.
Ein anderes Geschäftsmodell
Auch das Schicksal der Credit Suisse ist einer Vertrauenskrise zuzuschreiben, allerdings waren die Ereignisse anders verkettet. Sie wies zwar eine gesunde Eigenmittelunterdeckung auf, doch wurden ihr negativen Schlagzeilen aufgrund ihrer Verwicklung in eine Reihe von Skandalen und die Verluste, die sie infolge einer mangelhaften Risikokontrolle und Geschäftsführung erlitt, zum Verhängnis. Die Schockwellen, die der Zusammenbruch der SVB auslösten, verstärkten das bereits vorhandene Misstrauen in die Credit Suisse und ein Bank-Run brachte die zweitgrösste Schweizer Bank zu Fall.
Ein solches Debakel ist für die Pure Player unter den Schweizer Privatbanken schwer vorstellbar. Sie verwalten ihre Liquiditäten umsichtig und konservativ, mit hohen, bei den Zentralbanken hinterlegten Beträgen und wichtiger noch, sie sind meist nicht im Investmentbanking tätig. Ihre Bilanzbewirtschaftung und latenten Risiken sind einfacher zu erfassen. Diese Besonderheit stützt sich auf eine anhand von langjähriger Erfahrung bestätigte Gewissheit: das wichtigste Gut einer Bank ist das Vertrauen ihrer Kunden.