Einigen Finanzbeobachtern zufolge beginnt die Vormachtstellung der Schweiz in der weltweiten Vermögensverwaltung, insbesondere in Asien, zu bröckeln. Ist das wirklich so?

Eines ist sicher: In den letzten zehn Jahren ist der Wettbewerb unter den Finanzplätzen auf breiter Front härter geworden. Heute ist man in der Branche nicht mehr auf einer Einbahnstrasse, sondern auf einer vierspurigen Autobahn unterwegs. Der Unternehmensberatung McKinsey zufolge entfielen 57% des Wachstums der weltweiten Wirtschaftsleistung (BIP) zwischen 2015 und 2021 auf die Region Asien-Pazifik. Dort ist auch der Wohlstand in kürzester Zeit stark gestiegen, und viele der Privatkunden, die so zu Reichtum gekommen sind, haben sich aus kulturellen oder praktischen Gründen dafür entschieden, ihr Vermögen in ihrem Heimatland oder in unmittelbarer geografischer Nähe zu belassen. Der Abstand zwischen der Schweiz und den asiatischen Finanzzentren in Bezug auf die verwalteten Vermögen hat sich daher deutlich verringert. Nach Zahlen der Boston Consulting Group (BCG) liegt die Schweiz mit 2’600 Mrd. USD nur noch knapp vor Hongkong mit 2’400 Mrd. USD.

Doch auch wenn der Wind für den Finanzplatz Schweiz oder die internationalen Banken mit diesem Trend zum Near-Shoring, also zu einer Verlagerung von Vermögen in ein kundennahes Land, logischerweise rauer geworden ist, stellt er keine existenzielle Bedrohung dar. Dem Medienunternehmen Asian Private Banker zufolge ist das Markenimage der Schweizer Banken weiterhin intakt. Sie haben einen Anteil von rund einem Drittel am Gesamtvolumen der von den zwanzig grössten Privatbanken in Asien verwalteten Vermögen.

Und hier noch eine interessante Zahl: 80% der Führungskräfte der ersten Liga der regionalen Vermögensverwalter in Asien haben sich ihre ersten Sporen bei Schweizer Banken verdient.

Angesichts der sich rasch wandelnden Kundenbedürfnisse in einer immer komplexeren Welt spricht einiges dafür, dass die Schweizer Banken dank ihrer Kompetenz in der Beratung von Kunden mit grossen Vermögen ihre Präsenz in Asien noch ausbauen können. Dazu stehen ihnen heute vier wichtige Hebel zur Verfügung.

Mehrere Bankpartner

Erstens ist in Asien derzeit ein Anstieg der Nachfrage nach Beratung in der privaten Vermögensverwaltung zu verzeichnen. Auch wenn die asiatischen Kunden in ihren Anlageentscheidungen tendenziell aktiver sind als die Kundschaft in Europa, ist ihr zentrales Anliegen doch dasselbe wie überall sonst auch: Sie wollen ihr Vermögen an einem sicheren Ort wissen und zu konkurrenzfähigen Preisen eine ordentliche Rendite erzielen. Die meisten Kunden arbeiten mit mehreren Banken und legen Wert auf einen Vermögensverwalter, der Anlagelösungen globalen Zuschnitts zu bieten hat und nicht nur die Sicherheit und Stabilität der Schweiz in die Waagschale werfen kann, sondern sich auch durch hervorragende lokale Marktkenntnis auszeichnet.

Zweitens erreicht eine Generation asiatischer Unternehmer allmählich das Rentenalter. Damit zeichnet sich ein Vermögensübertragung in grossem Massstab ab. Zahlen von WealthX zufolge geht es hier um ein Volumen von 2 500 Mrd. USD bis 2030. Nachdem sie lange Zeit Kapitalüberschüsse in ihr Unternehmen reinvestiert haben, sind zahlreiche asiatische Unternehmer heute zunehmend auf Kapitalerhalt bedacht und an innovativen Vermögensplanungslösungen sowie einer globalen Vermögensallokation interessiert. Das sind seit jeher anerkanntermassen die Kernkompetenzen des Schweizer Private Banking.

Drittens spielen Sicherheit und Stabilität als Auswahlkriterien mehr denn je eine zentrale Rolle. Eigenkapital- und Liquiditätskennzahlen sowie die Net Stable Funding Ratio (NSFR) sind bei Banken aus Kundensicht besonders wichtig. Zudem macht die Komplexität der Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und China die Kunden aus Asien besonders vorsichtig. Sie wollen ihr Vermögen stärker über mehrere Finanzplätze, zu denen auch die Schweiz gehört, diversifizieren. Die Banken mit der nötigen Effizienz in Bezug auf das Anforderungsprofil eines solchen internationalen Portfolios sind hier klar im Vorteil.

Vergünstigungen und Anreize

Viertens haben die grossen Kunden angesichts der starken Konkurrenz nur die Qual der Wahl. Sie werden nicht nur von den Banken, sondern auch von den Finanzplätzen aktiv umworben. Letztere setzen heute auf einen Mix aus steuerlichen Vergünstigungen und Anreizen für Investoren, um neue Märkte zu erobern. So locken Hongkong und Singapur Family Offices mit Steuervorteilen, aber auch Dubai profiliert sich mit seinem «Golden Visa»-Programm. Um im Rennen zu bleiben, müssen Finanzplätze also proaktiv und innovativ handeln. Vor diesem Hintergrund könnte man sich vorstellen, dass der Finanzplatz Schweiz, der in der Kundenwahrnehmung technologisch ganz vorne mitspielt, Allianzen mit anderen Finanzplätzen bildet, um Standards und Spitzentechnologie zu entwickeln und so Anziehungskraft auf die interessanten Kunden auszuüben und die weniger attraktiven auszusieben.

Insgesamt lässt sich sagen, dass die Schweizer Banken entgegen manchen falschen Vorstellungen nach wie vor Einfluss haben, insbesondere in Asien, und im Beratungsgeschäft in der globalen Vermögensverwaltung weiterhin mit tonangebend sind. In der Welt von heute scheinen die Stärken, welche die Schweiz vor mehr als einem Jahrhundert attraktiv und aus Genf und Zürich prosperierende Finanzplätze gemacht haben, zunehmend an Relevanz zu gewinnen. Die Schweiz hat inzwischen starke Konkurrenz bekommen, aber der Ruf, den sie sich im Hinblick auf Stabilität, Anlageexpertise und Exzellenz in der Vermögensverwaltung erworben hat, besitzt grössere Strahlkraft denn je.

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