Le Temps (17.05.2021) - Meinung. Die Schweizer Vermögensverwaltung, die manchmal als traditionell, um nicht zu sagen «altmodisch» dargestellt wird, hat sich einmal mehr als agile und innovative Branche erwiesen, die ihre Führungsposition behaupten kann.

Die Pandemie hat unsere Gewohnheiten, unsere sozialen Interaktionen und unsere Art zu arbeiten umgekrempelt. Wer hätte gewagt vorherzusagen, dass die Schweizer Vermögensverwaltungsbranche diese Krise nicht nur überstehen, sondern sogar gestärkt aus ihr hervorgehen würde? Die veröffentlichten Ergebnisse für 2020 belegen genau dies: die Solidität des Sektors.

Schaut man sich den Zeitraum seit der Krise von 2008 an, ist die Feststellung eine ähnliche. Schwarzmaler prophezeiten damals bereits den unaufhaltsamen Niedergang der Vermögensverwaltung. Angesichts des Endes des Bankgeheimnisses und der Flut neuer Regulierungen schien das Schicksal der Privatbanken besiegelt.

In der Tat schmolzen in den letzten zehn Jahren die Margen an den Finanzplätzen, und es wurden immer mehr Konsolidierungsmassnahmen ergriffen. Aber zum gross angekündigten Niedergang der Privatbanken kam es nicht. Ganz im Gegenteil. Die Institute nahmen gewaltige Anpassungen vor, um ihre Konformität zu gewährleisten und neue Wachstumspfade zu erschliessen. Das hat sich ausgezahlt.

Intakte Führungsposition

Laut der Boston Consulting Group haben sich die Finanzwerte in den letzten zehn Jahren weltweit fast verdoppelt, wobei einige Märkte exponentiell wachsen. Das für Kunden aus dem Nahen Osten und aus Afrika betreute Vermögen stieg um das Zweifache, jenes von osteuropäischen Kunden um das Zweieinhalbfache und das von Kunden aus Lateinamerika um das Dreifache.

Trotz der Konkurrenz anderer Finanzplätze zieht die Schweiz weiterhin rund ein Viertel dieser Vermögen an und sie konnte ihre Position als weltweit wichtigstes Zentrum für grenzüberschreitende Vermögensverwaltung verteidigen.

Auch wenn die Schweizer Wirtschaft von der Krise nicht verschont blieb, wurde das Land durch den relativ geordneten Umgang mit Covid-19 seinem Ruf als sicherer Finanzplatz gerecht, vor allem bei Kunden aus Regionen, die schwer unter der Pandemie leiden bzw. mit geopolitischen Spannungen konfrontiert sind.

Die Schweiz scheint gut aufgestellt, um ihre Führungsposition zu behaupten, wenn nach Überwindung der Coronakrise der Aufschwung kommt. Die Produktivitätssteigerungen ermöglichten einigen Instituten, ihr Kosten-Ertrags-Verhältnis zu verbessern. Da die meisten regulatorischen Anpassungen abgeschlossen sind, können die Banken zudem ihre Margen wieder steigern.

Verantwortungsvolle Anlagen

Konjunkturpakete und weniger Ausgaben während der Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen führten dazu, dass weltweit die Sparquote explosionsartig anstieg. Studien schätzen die angehäuften Barmittel auf USD 5500 Milliarden – ein Geldsegen, der vor allem die Wirtschaftserholung ankurbeln sollte. Doch diese liquiden Mittel werden nicht alle in die Wirtschaftsaktivität fliessen, auf jeden Fall nicht sofort. Dies stellt für Vermögensverwalter eine Chance dar, insbesondere jene, ihrer Verantwortung gerecht zu werden.

Angesichts der beträchtlichen sozialen und ökologischen Herausforderungen haben Finanzintermediäre die Pflicht, Ersparnisse in verantwortungsbewusste Anlagen zu lenken. Sie können konkret etwas bewirken, da sie über die analytischen Kompetenzen verfügen, um die vielversprechendsten Sektoren und Unternehmen zu bestimmen, und weil ihre Kunden ihnen zuhören. Diesbezüglich verfügt die Schweiz über anerkanntes Know-how, das es ihr erlauben dürfte, eine führende Rolle in diesem Bereich zu übernehmen. Die in den letzten Jahren entstandene Dynamik wird durch das exponentielle Wachstum des Marktes für nachhaltige Geldanlagen bestätigt, mit einer ständig steigenden Nachfrage von institutionellen Kunden und grossem Interesse der Privatkunden, insbesondere der jüngeren Generationen.

Vermögensverwalter leisteten zudem Pionierarbeit, indem sie ihre Kunden ermutigten, in nicht-traditionelle Anlageklassen wie Sachanlagen zu investieren. Letztere haben sich als besonders effektive Alternativen zu den sehr niedrigen Renditen der Geld- und Anleihenmärkte erwiesen. Vor allem aber ermöglichen sie es den Anlegern, sich konkret an der Finanzierung der Realwirtschaft zu beteiligen.

Schliesslich hat die Krise auch zur Beschleunigung des digitalen Wandels im Vermögensverwaltungssektor geführt. Digitale Tools haben sich während der Gesundheitskrise als unverzichtbar für die Geschäftskontinuität erwiesen; sie werden es auch in der Welt nach Covid-19 sein, denn sie bieten nachweislich einen Mehrwert in Bezug auf Effizienz, Sicherheit, Risikomanagement und Kundenerfahrung.

Persönliche Beziehung

Dennoch können diese digitalen Werkzeuge – so wertvoll sie auch sein mögen – in einer Branche, die auf Vertrauen und engen Beziehungen basiert, den Menschen nicht ersetzen. Die Zukunft unseres Berufs beruht auf den Fähigkeiten der Bankers und Anlagespezialisten. Die Privatbanken müssen daher weiter in ihre Mitarbeitenden investieren. Sie brauchen Talente, die in der Lage sind, die spezifischen Erwartungen der Kunden, vor allem an den Wachstumsmärkten, zu erfüllen und ihr Know-how in immer spezielleren Bereichen ständig auszubauen.

Die Schweizer Vermögensverwaltung, die manchmal als traditionell, um nicht zu sagen «altmodisch» dargestellt wird, hat sich einmal mehr als agile und innovative Branche erwiesen, die ihre Führungsposition gegenüber der Konkurrenz aus den asiatischen und europäischen Märkten behaupten kann.

Die aktuelle Situation in Bezug auf den Zugang zum europäischen Binnenmarkt bleibt jedoch ein Damoklesschwert für die Branche. Sie setzt sich daher für ein Rahmenabkommen mit der EU ein, um das notwendige Umfeld für die langfristige Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes zu schaffen.

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Nadège Lesueur-Pène
Head of Wealth Management Developing Markets, Geneva & Monaco