Le Temps (07.03.2022) - Jedes Jahr verliert der Finanzplatz Schweiz einige Privatbanken und durch die im Jahr 2021 verzeichnete Welle von Fusionen und Akquisitionen ist ihre Zahl unter die symbolische Marke der 100 gesunken.
Laut der jüngsten Studie von KPMG und der Universität St. Gallen waren Mitte 2021 in der Schweiz 96 Privatbanken tätig, verglichen mit 101 Anfang 2020. Werden die im zweiten Halbjahr 2021 abgeschlossenen Deals mitberücksichtigt, bleiben von den 163 Privatbanken im Jahr 2010 heute noch 93 übrig.
Die Ursachen dieser Konsolidierung sind allgemein bekannt. So sind die Betriebskosten in den vergangenen Jahren aus mehreren Gründen kontinuierlich gestiegen – eine grössere Regeldichte, der von niedrigen Zinsen ausgehende Margendruck und die technologischen Investitionen. Letztere sollen es ermöglichen, den Kunden modernste Dienstleistungen zu bieten, interne Prozesse zu verbessern und die Internetkriminalität zu bekämpfen. In einem derart wettbewerbsintensiven Sektor wie der Finanzbranche hat dieser Druck unweigerlich zu einer Konsolidierung geführt, die sich auch künftig fortsetzen sollte. Kleine und mittlere Institute dürften sich daher nach einem solideren Partner umschauen, nicht zuletzt unter den grösseren Banken, obwohl es selten zu einem Vertragsschluss kommt.
Keine Erfolgsgarantie
Obwohl neue Zusammenschlüsse absehbar sind, ist der Erfolg einer Akquisition nie von vorneherein gewährleistet. Auf beiden Seiten stellen sich zahlreiche Fragen: Werden sich die Mitarbeitenden in der neuen Struktur zurechtfinden? Sind die jeweiligen Unternehmenskulturen miteinander vereinbar? Kann die neue Struktur bessere Dienstleistungen erbringen und die Bedürfnisse aller Kunden befriedigen? Wird ihre Rentabilität die Erwartungen erfüllen? Die Antworten auf diese Fragen sind von zentraler Bedeutung, aber nicht nur anhand der Daten zu ermitteln, die während der Due Diligence-Prozesse gesammelt werden. Es sind die Treffen zwischen den Geschäftsleitungen der beiden Parteien, die Qualität der persönlichen Kontakte und das Ausmass des gegenseitigen Vertrauens, die wertvolle Anhaltspunkte liefern.
Bevor ein Unternehmen ein solches Projekt in Angriff nimmt, das operative, finanzielle und menschliche Auswirkungen hat, sind zahlreiche nicht-finanzielle Parameter zu berücksichtigen. Ob es sich bei der Übernahmekandidatin um eine gut etablierte Bank oder einen lokalen Vermögensverwalter handelt, gemeinsame Werte sind einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren. Finanzielle Prognosen können auf dem Papier zwar sehr vielversprechend aussehen, und eine Transaktion kann mit besonderen Garantien ausgestattet sein, doch erfahrungsgemäss läuft eine Übernahme bei unvereinbaren Unternehmenskulturen grosse Gefahr zu scheitern. Der Schulterschluss zwischen zwei Banken ist mit einem Rekrutierungsprozess vergleichbar. Der künftige Mitarbeitende mag über Erfahrung und Kompetenzen verfügen, doch die wichtigste Zutat einer langfristigen Beziehung ist der «Cultural Fit».
Schlüsselfaktor Komplementarität
Der zweite Schlüsselfaktor heisst Komplementarität. Eine Akquisition sollte in eine Vision eingebettet sein und aus einer kohärenten und verständlichen Strategie hervorgehen, ungeachtet davon, ob man neues Know-how erwerben, eine neue Region erschliessen oder eine Expansion oder Weiterentwicklung vornehmen möchte. Eine Übernahme, die nur auf die Steigerung des Kundenstamms abzielt, ergibt keinen Sinn.
Der dritte Faktor ist der Preis. Der ‚Goodwill‘, den der Käufer zu zahlen bereit ist, steht in engem Verhältnis zur Komplementarität der übernommenen Gesellschaft, insbesondere in strategischer Hinsicht. Ein überhöhter Kaufpreis kann ein erhebliches Risiko beinhalten ebenso wie der Erwerb einer Firma, deren Know-how zu stark vom eigenen abweicht. Diese Ungewissheiten sind daher durch eine eingehende Analyse der Kunden und des Angebots auf ein Mindestmass zu reduzieren.
Viertens ist ein transparenter Integrationsprozess ebenfalls ein Erfolgsfaktor. Die Ankündigung einer Übernahme durch eine andere Gesellschaft stellt für alle Mitarbeitenden einen Schock dar, der ihre Rolle im Unternehmen und ihre beruflichen Aussichten in Frage stellt. Für die Mitarbeitenden einer Bank, die soeben übernommen wurde, ist kein Umstand so beunruhigend wie mangelnde Transparenz. Die Kommunikation spielt daher eine entscheidende Rolle, gerade in den zwei oder drei Quartalen zwischen der Ankündigung und dem Abschluss der Akquisition. Unter Wahrung des Geschäftsgeheimnisses sind die Mitarbeitenden auf grösstmöglich transparente Weise über die künftigen Etappen zu informieren. Je vertrauter die Kundenberater mit der Strategie des Käufers sind, desto besser wird die Kommunikation mit ihren Kunden verlaufen und desto erfolgreicher die Fusion.
Integrierte IT-Systeme
Die Übertragung der elektronischen Daten und die Integration der Kundendaten und Produktinformationen in das IT-System der Bank stellen den fünften, besonders wichtigen Schlüsselfaktor dar. Zwar handelt es sich um zwei voneinander getrennte Prozesse, doch ist das Tempo ihrer Durchführung zentral. Bei der Datenintegration haben Banken, die ihre Systeme selbst verwalten, einen klaren Vorteil gegenüber Instituten, die ihr Datenmanagement ausgelagert haben. Sie können selbständig Prioritäten setzen, die erforderlichen Ressourcen sehr kurzfristig erweitern und die Datenintegration sehr rasch durchführen, denn solange diese nicht beendet ist, kann die Integration nicht abgeschlossen werden. Die Zusammenarbeit wird nämlich schwierig, wenn der Kollege nicht das gleiche IT-System verwendet oder die Kollegin nicht Zugang zu sämtlichen Kundeninformationen hat.
Auch wenn es kein Erfolgsrezept gibt, sind diese fünf Faktoren von grundlegender Bedeutung. Jede Integration eines neuen Unternehmens ist eine Herausforderung und mit jeder gelungenen Integration wächst auch die Erfahrung.