Man darf nicht vergessen, dass für die Schweizer Banken die praktische Durchführung dieses Massnahmenarsenals eine sehr komplexes Unterfangen darstellt.
Zwar beteiligt sich der Bankensektor seit mehreren Jahren schon weltweit oder in spezifischen Sektoren an Sanktionen, doch der seit dem 24. Februar implementierte Massnahmenplan sticht durch seine Komplexität hervor. Eine weitere Besonderheit ist, dass die Sanktionen einen Wachstumsmarkt treffen und dadurch auf einen Schlag jahrelange Bemühungen vieler Banken, einen Kundenstamm zu erschliessen, gestoppt wurden.
Eine Nation ins Visier genommen
Die Art der Sanktionen sowie die betroffenen Personen und Unternehmen gehen viel weiter als diejenigen, die bis anhin anderen Staaten auferlegt wurden. Im Fall von Russland und Belarus werden nicht mehr nur Geschäftsaktivitäten, einzelne Unternehmen oder Personen ins Visier genommen, sondern eine ganze Nation. Diese Vorgehensweise zwingt dazu, viele verschiedenen Szenarien zu berücksichtigen: die russischen Einwohner in Russland, im Ausland wohnhafte oder domizilierte russische Bürger (in der Schweiz, in Europa usw.), Doppelbürger, Personen mit Verbindungen zu russischen Unternehmen, Gesellschaften und Geschäftsstrukturen, die teilweise oder zu 100% im Besitz russischer Bürger sind, gewisse Arten von Anlage- und Finanzinstrumenten usw.
Zu dieser neuen Ausrichtung kommt noch die Vielzahl der Sanktionsprogramme. Nehmen wir als Beispiel eine Schweizer Bank mit mehreren Zweigstellen im Ausland. In diesem Fall kommen gleich mehrere Arten von Sanktionen zum Zug: Von der Schweiz und von den anderen Ländern, in denen besagtes Finanzinstitut tätig ist, verhängte Sanktionen. Erschwert wird das Ganze durch die Tatsache, dass einige Länder keine Sanktionen gegen Russland und Belarus umsetzen und in den Ländern, die es tun, die Regeln nicht immer mit den schweizerischen vergleichbar sind. Eine andere Schwierigkeit besteht darin, dass die vom amerikanischen OFAC (Office of Foreign Assets Control) beschlossenen Massnahmen sich durch ihre ausserhalb des Hoheitsgebiets der USA ausdehnende Tragweite auszeichnen. Sie betreffen jede in US-Dollar getätigte oder mit US-Indizien behaftete Transaktion ungeachtet des Standorts des Kunden oder des Empfängers. Schliesslich unterstehen Korrespondenz- oder Depotbanken, mit denen Schweizer Finanzinstitute im Ausland arbeiten, ihrerseits unterschiedlichen Regimes, einschliesslich Sanktionsplänen, die sie ebenfalls einzuhalten haben. Getreu dem Prinzip einer konsolidierten Kontrolle muss eine Bankengruppe dafür sorgen, dass die Bestimmungen, die für den Schweizer Hauptsitz gelten, auch von den Zweigstellen im Ausland befolgt werden, auch wenn diese Bestimmungen strikter sind. Die Folge davon ist eine schwierige Sensibilisierungsarbeit der Zweigstellen an den betreffenden Standorten, einschliesslich der Kunden, wenn die Bankengruppe in mehreren Ländern tätig ist. Bei der Umsetzung des Schweizer Sanktionsprogramms gegen Russland und Belarus muss eine Schweizer Bank die vom Bundesrat angeordneten Massnahmen strikt einhalten, die prudenziellen Vorgaben von SECO und FINMA befolgen, aber auch die Geschäftspraktiken von Finanzinstituten in Drittländern berücksichtigen. Auch müssen die Bank regelmässig den Aufsichtsbehörden Bericht über die Entwicklung ihrer Beziehungen mit den von Sanktionen betroffenen Kunden erstatten.
Wirksame Zusammenarbeit
Die Compliance-Abteilungen stehen an vorderster Front und sind bei der Bewältigung dieser Aufgabe gefordert. Sie mussten ihr Know-how und ihre Kapazitäten ausbauen und die anderen Abteilungen wie Frontoffice, Support, Trading und Kreditabteilungen bei vielen Sonderfällen unterstützen.
Auch die Sparten Operations und IT wurden bei dieser komplexen Aufgabe stark miteinbezogen, sei es im Hinblick auf die Durchführung von erlaubten Börsen- und Überweisungsaufträgen, sei es im Hinblick auf die Verwaltung von Wertschriften und ihrer Renditen.
Die Reputation schützen
Wenn es eine Lehre aus dieser Lage zu ziehen gibt, dann diese: Die Schweizer Banken haben proaktiv ihre Kräfte gebündelt, statt diese Herausforderungen im Alleingang anzugehen. Der gegenseitige Austausch hat es ihnen ermöglicht, die von der Regierung beschlossenen Bestimmungen zu «operationalisieren» und so einheitliche, dem Schutz des gesamten Sektors dienende Bestimmungen zu entwickeln. Diese Bemühungen zielten darauf ab, die Reputation des Finanzplatzes zu schützen und zu verhindern, sich der Gefahr auszusetzen, die Sanktionen ungenügend zu befolgen. Die Berufsverbände wie die Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg) haben eine wichtige Rolle bei der Auslegung dieser Bestimmungen gespielt.
Noch steht den Banken viel Arbeit bevor, sind doch der Ausgang des Konflikts und die weitere Entwicklung der Sanktionen mit grosser Unsicherheit behaftet und könnten im Laufe der Wochen bedeutende Veränderungen erfahren. Man kommt nicht umhin festzustellen, dass die Bündelung der Kräfte und Ressourcen, die vorerst als Krisenbewältigung gedacht war, nun Teil der laufenden Geschäftstätigkeit der Schweizer Banken sind.