Le Temps (01.03.2021) - Die letzten 20 Jahre waren eine echte Belastungsprobe für die Schweizer Privatbanken: Sie mussten sich an stets neue regulatorische Bestimmungen, immer striktere Steuervorschriften und die zunehmend globale Kundschaft anpassen. 

Für die Compliance-Abteilungen bedeuten diese langfristigen Bemühungen kontinuierliche Investitionen in Form von Zeit, Personal und technologischen Hilfsmitteln, die für die korrekte Ausführung ihrer Aufgaben nötig sind. 

Die Pandemie hat alles noch komplexer gemacht. So mussten die Banken sich überlegen, wie sie weiterhin ihre Sorgfaltspflicht bei Kontoeröffnungen erfüllen, Dokumente in der vorgeschriebenen Form mit den Kunden austauschen und die Datensicherheit garantieren können, wenn die meisten Mitarbeitenden im Homeoffice arbeiten, physische Treffen durch Ausgangs- und Reisebeschränkungen erschwert werden und der Postverkehr eingeschränkt ist.

Technologische Lösungen

Um diese unverzichtbaren Aufgaben weiterhin erfüllen zu können, haben die Banken nach verschiedenen technologischen Lösungen gesucht – und die für 2020 veröffentlichten Ergebnisse des Sektors zeigen, dass die Herausforderung der Kontinuität erfolgreich bewältigt wurde. 

Der regulatorische Rahmen sieht bei der Eröffnung neuer Konten oder der Betreuung bestehender Geschäftsbeziehungen bestimmte Sorgfaltspflichten vor. Um diese zu erfüllen, griffen die technologisch fortschrittlichsten Bankinstitute auf Videokonferenzen zurück, bei denen sie Kunden mit gesicherten und von den Regulierungsbehörden anerkannten Prozessen aus der Ferne identifizieren können.

Neben der Identifizierung zieht jede Kontoeröffnung einen Austausch von Vertragsdokumenten und regulatorischen Formularen nach sich, wobei die unterzeichneten Originale normalerweise vom Kunden an die Bank übergeben werden. Die Einschränkungen bei der Postzustellung und die Reisebeschränkungen führten jedoch manchmal zu Verzögerungen und Unannehmlichkeiten. Dieses Problem kann durch qualifizierte elektronische Signaturen gelöst werden. Eine Unterschrift gilt als «qualifiziert», wenn sie die gleiche Sicherheit wie eine handschriftliche Unterschrift hinsichtlich der Identität des Unterzeichners und der Authentizität des Inhalts des entsprechenden Dokuments bietet.

Dieses Instrument wird in der Praxis bis jetzt noch wenig verwendet. Angesichts der technischen, rechtlichen und regulatorischen Implikationen ist seine Einführung äusserst komplex und zeitaufwändig. Dennoch bereiten sich bestimmte Banken aktiv darauf vor, und auf lange Sicht dürfte sich dieses Tool, das die Beziehung zum Kunden vereinfacht, durchsetzen.

Weiterentwicklung der Konformität

Mit der Zunahme des Homeoffice mussten die Banken zudem sicherstellen, dass die Mitarbeitenden über die notwendigen Geräte und Informationen verfügen, um von zu Hause aus zu arbeiten. Sie mussten in Instrumente investieren, um die Sicherheit der Telearbeit zu garantieren, und eine klarere Abgrenzung zwischen operativen und geheimen Daten vornehmen.

Auch musste gewährleistet werden, dass die ergriffenen Massnahmen dem gesetzlichen Rahmen entsprechen.

Glücklicherweise hatten die Compliance-Abteilungen auch schon vor dem Coronavirus erste Schritte im «RegTech»-Bereich unternommen.

Gemeint ist damit die Nutzung neuer Technologien zur Erleichterung des regulatorischen Risikomanagements und der operativen Compliance-Prozesse. Die Pandemie hat die Entwicklung lediglich beschleunigt. Einige Banken konnten sich dazu beglückwünschen, dass sie ihre Prozesse für Kontoeröffnung und -nachprüfung bereits vor der Krise automatisiert hatten. Damit konnten sie gegenüber der manuellen Bearbeitung der Kundendaten in drei Bereichen punkten: Sicherheit, Effizienz und Zeitgewinn.

Keine digitalen «Neobanken»

Der digitale Wandel hat auch zur Weiterentwicklung der Methoden und Kompetenzen der Compliance-Teams beigetragen. Zusätzlich zu den immer spezifischer werdenden Fachkenntnissen, die sie sich aneignen mussten, um mit der Verdichtung und zunehmenden Komplexität des regulatorischen Umfelds zurechtzukommen, sind Experten nun in der Lage, die neuen Regulierungen in IT-Programme zu übersetzen. Diese Experten erwiesen sich z.B. bei der Erarbeitung neuer Funktionalitäten des E-Bankings als sehr wichtig. Sie ermöglichten den Kunden, auf gesicherte Weise mit ihren Beratern zu kommunizieren, Dokumente zur Verfügung zu stellen und Transaktionen durchzuführen. Dies führt allerdings wiederum zu neuen regulatorischen Herausforderungen.

Aber Vorsicht: Nur weil eine Privatbank mit neuen Technologien ausgestattet ist, heisst das nicht, dass sie bald einer zu 100% digitalen «Neobank» ähneln wird. Es ist nur schwer vorstellbar, wie Online-Banken einer oft internationalen Kundschaft massgeschneiderte Lösungen anbieten wollen, bei denen mehrere Rechtssysteme berücksichtigt werden müssen. 

Aufgrund der zunehmend komplexen Zusammensetzung des Vermögens von Privatkunden wird die Kontoeröffnung und -verwaltung ausserdem immer komplizierter und setzt Analysefähigkeiten und Fachwissen voraus, die nur eine Privatbank anbieten kann. Digitale Tools sind also eine grossartige Möglichkeit zur Vereinfachung der Prozesse. Privatbankkunden benötigen darüber hinaus jedoch eine Betreuung nach Mass, die durch digitale Lösungen aufgrund der nötigen Standardisierung nicht geleistet werden kann.

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Raoul Jacot-Descombes
Group Head of Risks & Compliance
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