Le Temps - (19.06.2023) - Manchmal ist es besser, sich für eine Investition zu entscheiden, bevor alle Ungewissheiten ausgeräumt sind. Vorausgesetzt, man verfügt über effiziente Risikomanagement-Tools.
Erfreulicherweise hat die Vermögensverwaltung im Laufe der Jahre grosse Veränderungen durchlaufen. Heute werden hier technologische Hilfsmittel fast so oft eingesetzt wie im Asset Management. Für den Finanzplatz Schweiz ist dies eine gute Nachricht, denn aktives Management und Risikoverwaltung sind Teil seiner Geschichte.
Seit zwei Jahren wechseln sich die Turbulenzen im Finanzsektor unerbittlich ab. In derart ungewissen Zeiten ist die Versuchung gross, sich zurückzuziehen und bessere Bedingungen abzuwarten. Sich in Geduld zu üben, bis alle Zeichen auf grün stehen, scheint eine vernünftige Haltung. Doch in Sachen Finanzanlagen ist ein Übermass an Vorsicht nicht immer empfehlenswert. Wer zu lange auf den idealen Zeitpunkt wartet, könnte den Anfang eines Aufschwungs verpassen. Studien haben gezeigt, dass Anleger, die in den letzten dreissig Jahren während der zehn besten Tage nicht investiert waren, fast die Hälfte ihrer Gesamtperformance einbüssten1!
Alles eine Frage der Antizipation und Reaktion
Die Geschwindigkeit der Informationsübertragung, die Globalisierung und die hohen geopolitischen Spannungen lösen immer schnellere und heftigere Bewegungen aus. Wer seine Chance nicht verpassen will, muss sich in Vernunft üben. Wie kann man wissen, wann der richtige Zeitpunkt ist? Wie kann man Trendwenden vorhersehen? Hier können quantitative Methoden, die bei der Vermögensallokation behilflich sind, eine Antwort liefern. Um Risiken einzugehen, muss man über die richtigen Instrumente verfügen, um sie zu verstehen und zu messen. Bei einem Linienflug verfügt der Pilot über eine Vielzahl an Instrumenten, die ihm präzise Daten liefern, was die Sicherheit des Flugs erhöht. Warum sollte sich «der Pilot» eines Anlageportfolios mit veralteten und ineffizienten Instrumenten zufrieden geben und seine Investitionsentscheidungen über den Daumen peilen.
Private Vermögensverwaltung nutzt Technologie genau so oft wie Asset Management
Glücklicherweise hat die private Vermögensverwaltung in den vergangenen zwanzig Jahren grosse Veränderungen durchlaufen. Heute steht sie im Hinblick auf den Einsatz von Technologie der institutionellen Vermögensverwaltung in nichts nach. Jahrzehntelang befolgten Schweizer Privatbanken bei der Portfolioaufteilung die Regel «60/40» - 60% Aktien und andere risikoreicheren Instrumente, 40% festverzinsliche Werte. Heute ist die Vermögensallokation dynamischer und spezialisierter geworden. Wenn die Ungewissheit an den Märkten die Oberhand gewinnt, braucht es modernste Instrumente. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Umwälzungen verbreiten, ist derart extrem, dass sich statische Aufteilungen als gefährlich erweisen können. Deshalb ist es unerlässlich, modernste Entscheidungshilfen einzusetzen. Um eine andere Analogie zu bemühen: Will man ein leistungsstarkes Auto mit rascher Beschleunigung, muss man auch über starke Bremsen und gute Stossdämpfer verfügen. Jede Privatbank, die etwas auf sich hält, entwickelt innovative Lösungen, um mithilfe von strukturierten Produkten oder Derivaten ein asymmetrisches Risikoprofil zu erlangen. Ein solches Profil ermöglicht eine gute Partizipation bei Markthaussen ohne das ganze Ausmass einer Marktkorrektur zu erleiden.
Lange galten ETF als Vorzeigeinstrument der passiven Vermögensverwaltung und vermochten den Glauben zu wecken, dass sie die Instrumente der Zukunft sind. Nach über zehn Jahren Bullenmarkt hat sich das Blatt jedoch gewendet. Ein Manager, der das Vermögen seiner Kunden vor heftigen Achterbahnfahrten schützen will, muss die Fähigkeit haben, die Spreu vom Weizen zu trennen. Deshalb ist es für unseren Finanzplatz unerlässlich, die Vermögensverwaltung nicht durch die Drittfondsverwaltung zu ersetzen. Eine offene Architektur könnte zwar mit einer vordergründigen Konfliktlosigkeit verführen. Sie beinhaltet aber Gefahren, weil die Auswahl nicht darauf beruht, Wetten oder Risiken einzugehen. Die Anwendung sehr strikter Kriterien führt oft dazu, dass die besten und innovativsten Fonds oft ausgeschlossen und dadurch viele Chancen verpasst werden. Es ist daher besonders wichtig, dass eine Privatbank intern über robustes Know-how verfügt.
Für unseren Finanzplatz ist dies eine gute Nachricht, denn aktives Management ist Teil seiner DNA. Die aktive Vermögensverwaltung, der Aufbau von global diversifizierten Portfolios, die diskretionäre Vermögensverwaltung oder die Entwicklung von persönlichen Anlagelösungen sind seit langem erfolgreiche Methoden der Genfer Privatbanken. Im Gegensatz zu vielen anderen Finanzplätzen, die sich auf eine bestimmte Vermögensverwaltungsart und eine einheimische Kundschaft konzentrieren, kann die Schweiz zudem eine lange Tradition einer international orientierten Verwaltungstätigkeit vorweisen. Diese Stärke gilt es zu bewahren und auszudehnen.
Menschen statt Maschinen
Aber auf Worte müssen auch Taten folgen: Es muss nicht nur in Technik, sondern auch in hoch qualifizierte Mitarbeitende investiert werden. Unser künftiger Erfolg hängt von der Fähigkeit ab, die Märkte zu verstehen, die Risiken zu bewerten und innovative Lösungen anzubieten. Nicht Maschinen, sondern Menschen werden dank ihrem Denkvermögen den Ausschlag geben, indem sie moderne Analyse- und Risikoverwaltungsinstrumente entwickeln. Talentierte Piloten müssen nicht nur in der Lage sein, auf unvorhersehbare Situationen zu reagieren, sondern auch sehr rasch die richtigen Entscheidungen zu treffen.
1Quelle: Ned Davis Research, Morningstar und Hartford Funds, Februar 2023