Finanz und Wirtschaft (06.05.2020) - Eleanor Taylor Jolidon, Co-Leiterin Aktien Schweiz & global bei Union Bancaire Privee, setzt auf krisenfeste Unternehmen und warnt vor zu viel Optimismus.

Frau Taylor Jolidon, sind Sie von der globalen Pandemie auf dem falschen Fuss erwischt worden?

Wir haben zu Jahresbeginn natürlich nicht mit einem derart starken Absturz an den Märkten gerechnet. Doch wir sind bereits vorsichtig ins 2020 gestartet und haben mit schwächerem Wachstum gerechnet. Wir glaubten die Gewinnerwartungen im Markt waren zu hoch, insbesondere an zyklische Sektoren wie Energie, Werkstoffe oder die kapitalintensive Industrie. Durch die verhaltenen Wachstumszahlen aus China fühlten wir uns bestätigt und waren dementsprechend bereits vor der globalen Coronakrise defensiv positioniert.

Was hatte der Ausbruch der Pandemie dann für Sie zur Folge?

Als sich die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft niederzuschlagen begannen, haben wir einige Veränderungen im Portfolio vorgenommen. Wir setzen vermehrt auf Unternehmen, von denen wir glauben, dass sie nicht nur solide durch die Krise kommen oder gar kurzfristig daraus Gewinne ziehen, sondern die von den veränderten Gegebenheiten nach der Krise profitieren werden. Der Schweizer Aktienmarkt ist dafür geradezu prädestiniert.

Wie das?

Der heimische Markt ist in Krisen ein klarer Überperformer und verliert viel weniger als andere Märkte vor allem in Europa. Einerseits liegt das an der bekannten defensiven Ausrichtung mit den Schwergewichten Nestlé, Roche und Novartis sowie an der Tatsache, dass wenn ich in den Schweizer Markt investiere, zugleich im sicheren Hafen Franken angelegt bin.

Das ist die allgemein bekannte Lesart.

Wenn man tiefer schaut, stellt man fest, dass der Schweizer Markt auf breiter Front mit Unternehmen bestückt ist, die hohe und stabile Cashflowrenditen auf ihren Investitionen liefern. Diese Unternehmen sind sehr gut positioniert, um solche Krisen zu überstehen. So vergleicht sich der heimische Markt in der Qualität der Wertschöpfung viel eher mit dem amerikanischen als mit anderen europäischen Märkten.

Was zeichnet diese Unternehmen aus?

Diese krisensicheren Gesellschaften haben eine starke Bilanz. Sie können ihre Produkte und Dienstleistungen weiterhin herstellen und vertreiben, ihre Geschäfte finanzieren und Cashflow generieren. Dann ist es von Vorteil, wenn ein Unternehmen Notwendiges herstellt, wie der erwähnte Nahrungsmittelkonzern oder die Pharmaunternehmen. Dinge also, bei denen Konsumenten in schlechten Zeiten nur wenige Abstriche machen. Interessant sind auch Unternehmen, deren Produkte jetzt mehr nachgefragt werden als sonst.

Welche Gesellschaften sind das konkret?

Das sind IT- und Softwareunternehmen, welche die Digitalisierung von Unternehmen vorantreiben, was in Zeiten des Home Office nochmals an Wichtigkeit dazugewonnen hat: SoftwareONE, die ihr Geschäft mit Software-Lizenzmanagement und Beratungsleistungen macht. Temenos und Crealogix, die auf Bankensoftware spezialisiert sind. Logitech, die Computerzubehör herstellen.

Das können aber auch schlicht Strohfeuereffekte sein. Wer gewinnt strukturell?

Das würde ich pauschal so nicht sagen. Wir werden in Zukunft vielleicht weitere Lockdowns erfahren. Mindestens wird Home Office einen nachhaltigen Aufschwung erfahren.

In Zeiten, in denen wir sensibler auf Krankheitserreger eingestellt sind, werden sich zudem Privatpersonen und Unternehmen vermehrt überlegen, ihre Infrastruktur zu erneuern, beispielsweise Lüftungen und Klimaanlagen zu modernisieren. Dann profitiert ein Unternehmen wie Belimo, das ein führender Zulieferer in diesem Bereich ist.

Ist jetzt nicht vor allem der Pharma- und Gesundheitssektor der grosse Gewinner?

Hier ist Vorsicht geboten. Viele Unternehmen forschen zurzeit an Impfstoffen oder Therapien gegen Covid-19. Diese werden meiner Meinung nach dann aber mit hohen Rabatten oder in manchen Ländern gar umsonst auf den Markt kommen. Erfolge im Kampf gegen das Virus werden sich also nicht automatisch in stärkere Erträge ummünzen. Darüber hinaus ist ein guter Teil der Nachfrage nach speziellen Medikamenten oder Materialien aufgrund der Pandemie sicher nicht nachhaltig.

Es muss doch auch Gewinner in diesen Bereichen geben.

Die gibt es. Ein Unternehmen, das während der Pandemie aufgrund von Regulierungsänderungen profitiert, ist die Onlineapotheke Zur Rose. Die deutschen Behörden haben jetzt elektronische Rezepte zugelassen und das Parlament wird sie ab anfangs 2022 sogar für obligatorisch erklären. Das macht es viel einfacher Medikamente online zu bestellen.

Von der Forschung nach einem Impfstoff für Covid-19 und höheren Absätzen von Medikamenten, die zur Behandlung der Virusinfektionen eingesetzt werden, könnten die Auftragsproduzenten im Pharmabereich wie Lonza, Bachem, Siegfried und vielleicht auch Dottikon profitieren.

Welche Unternehmen meiden Sie dagegen?

Wir werden wahrscheinlich langsamer aus dieser Krise herauskommen als zu Beginn gedacht. Millionen von Jobs sind verschwunden, in den USA bewegt sich die Arbeitslosenquote um 15%. Der Konsum wird sich nur langsam erholen. Das trifft in erster Linie die Detailhändler. Auch die Absatzzahlen der Autohersteller werden nicht plötzlich sprunghaft auf Vorkrisenniveaus zurückschnellen. Ein Grossteil der Bevölkerung wird zudem eher skeptisch gegenüber Reise- und Freizeitformen sein, wo man in grosser Zahl lange nah beieinander ist. Die ganze Luftfahrt-, Reise-, Tourismus- und Veranstaltungsindustrie wird länger brauchen, um sich zu erholen.

Welche Schweizer Unternehmen sind betroffen?

Zu nennen ist hier die Messebetreiberin MCH Group, die bereits vor der Krise schon Probleme hatte. Auch der Duty-free-Händler Dufry wird noch länger mit halbleeren Flughäfen zu kämpfen haben.

Seit dem Tiefpunkt des Markts im März hat eine Rally eingesetzt. Wie nachhaltig ist sie?

Ich glaube die Märkte unterschätzen die Möglichkeit einer zweiten Infektionswelle und eines neuerlichen Lockdowns. Die Gewinnerwartungen für dieses Jahr sind zwar global stark zurückgekommen. Ich glaube allerdings, dass die längerfristigen Prognosen immer noch nicht realistisch sind und wir eine Korrektur nach unten sehen könnten, wenn die Zweitquartalszahlen die Schwere der wirtschaftlichen Verwerfungen uns erst so richtig vor Augen führen werden.

Wie werden wir nach der Krise dastehen?

Die staatliche und private Verschuldung wird höher sein. Die Bilanzen, vor allem der Konsumenten, werden geschwächt sein. Alles spricht für eine langsamere Erholung als zu Beginn angenommen. Im Moment herrscht aber immer noch viel Optimismus im Markt und ich hoffe inständig, dass es kein falscher Optimums ist. Die Möglichkeit besteht aber, dass wir weitere Marktkorrekturen sehen werden.

Viele Auguren gehen davon aus, dass die Wirtschaft 2021 stark zulegen wird.

Das ist sicher im Bereich des Möglichen. Wir werden aus der Krise mit einer intakten Infrastruktur herauskommen. Viele Unternehmen müssen nur den Schalter umlegen und die Maschinen laufen wieder. Die Frage ist, wie schnell die Konsumenten wieder auf ihr Vorkrisenniveau kommen. Zudem sehe ich ein Problem in den Interventionen der Regierungen und Zentralbanken, die jetzt auch bereits zuvor notleidende Unternehmen stützen.

Was ist daran falsch?

Mit den umfassenden Hilfsmassnahmen werden auch Unternehmen gerettet, die unter normalen Umständen bankrott gegangen wären. Oder nehmen sie die Finanzindustrie, wo zum einen die Regeln zur Kapitalausstattung temporär gelockert werden und damit auch Akteure gestützt werden, die längst nicht mehr nachhaltig profitabel sind, und auf der anderen Seite wurde allen quasi untersagt Dividende auszuschütten, wodurch die Starken ihre Stärken nicht ausspielen können. Das ist im Endeffekt auch eine verpasste Chance zur Konsolidierung.

Stehen Sie Finanzaktien skeptisch gegenüber?

Wir haben keine wirklich schwachen oder bedenklichen kotierten Banken, Versicherungen oder Finanzdienstleister in der Schweiz. Die Grossbanken haben von der starken Kundenaktivität im ersten Quartal sogar profitiert. Ob das im zweiten Quartal so weiter geht ist allerdings zu bezweifeln. Grundsätzlich macht die zunehmende Regulierung den Bankensektor für uns eher unattraktiv. Wir ziehen die Versicherungen klar den Banken vor.

Auf was kommt es jetzt in den kommenden Monaten an?

Entscheidend wird sein, wie erfolgreich der Ausstieg aus dem Lockdown vorangeht. Zweite Infektionswellen wie in Singapur wären sicher ein herber Rückschlag.

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Eleanor Taylor Jolidon
Co-Head of Swiss and Global Equity