Le Temps (27.12.2021) - In einem sind sich heute alle einig: Der Finanzbranche kommt bei der Dekarbonisierung der Volkswirtschaften eine zentrale Rolle zu, da sie die privaten Kapitalflüsse strategisch umzuleiten vermag.
Dies zeigt sich am starken Wachstum der sogenannten «nachhaltigen» Fonds. Gemäss Swiss Sustainable Finance (SSF) dominiert diese Kategorie mit 52% der verwalteten Vermögen mittlerweile den Schweizer Anlagefondsmarkt. Das Gesamtvolumen nachhaltiger Investitionen in der Schweiz, das 2014 noch unter 80 Milliarden Franken gelegen hatte, belief sich 2020 bereits auf 1520 Milliarden Franken und dürfte weiter kräftig zunehmen.
Analogie zur Entwicklung in der Technologiesparte
Dieser Trend ging oft mit grossen Absichtserklärungen der Akteure einher, die so ihre Fähigkeit, nachhaltig zu denken, zu handeln und zu investieren unter Beweis stellen wollten. Für einen Vermögensverwalter besteht die Herausforderung indes nicht darin, ob es ihm gelingt, sich nach aussen einen grünen Anstrich zu geben, sondern darin, ob er es schafft, das Kapital seiner Kundschaft zu erhalten und langfristig zu vermehren – dies ist die Hauptaufgabe einer Privatbank und das sollte nicht vergessen werden. Kurzum: Die Finanzbranche kann einen wirksamen Beitrag zum ökologischen Wandel leisten und diesen beschleunigen, sofern sie entsprechende Resultate liefert.
Die Zeiten sind vorbei, in denen Nachhaltigkeit eines von vielen Anlagethemen war. Sie muss nun als neue Dimension der Verwaltung und fester Bestandteil des Anlageprozesses erachtet werden. Eine Bank, die den Übergang mitgestalten will, wird natürlich darauf bedacht sein, ihrer Kundschaft die Nachhaltigkeit ihrer Anlagelösungen anzupreisen. Dies gilt umso mehr, wenn sie davon überzeugt ist, dass die Unternehmen, die strikte Nachhaltigkeitskriterien erfüllen oder einen positiven Effekt anstreben, langfristig ein grösseres Wertschöpfungspotenzial aufweisen als solche, die sich dem Wandel widersetzen.
Es besteht eine interessante Analogie zur Entwicklung im Technologiesektor: Der Aufstieg der neuen Technologien führte sowohl in den Unternehmen als auch in bestimmten Branchen zu Umwälzungen, die in den 1990er-Jahren in der sogenannten «New Economy» gipfelten. Diese neuen Technologien, die zunächst als blosser Trend wahrgenommen wurden, haben im Endeffekt unsere Lebens- und Konsumgewohnheiten strukturell verändert und sind zu einem dauerhaften Wachstumsmotor geworden. Innerhalb von zwanzig Jahren hat die amerikanische Technologiebranche alle Finanzmärkte um annualisiert 30% übertroffen.
Ebenso stellt das Streben der Weltwirtschaft nach Klimaneutralität eine industrielle Revolution dar, die Anlagemöglichkeiten eröffnet – eine Tatsache, die es anzuerkennen gilt. Saubere Energie, grüne Infrastruktur, Kreislaufwirtschaft und andere klimaneutrale und klimapositive Aktivitäten beinhalten grosses Beschäftigungs- und Wachstumspotenzial. Wie die technologische Revolution, die vor rund 25 Jahren eingesetzte, ist auch der Umbau zu einer nachhaltigen Wirtschaft eine langfristige Entwicklung, deren Fundament allfälligen Konjunkturschwankungen zweifelsohne standhalten wird.
Langfristiger Wandel
Die Richtung ist somit vorgegeben, auch wenn die Transformation der Wirtschaft und der Unternehmen einige Risiken birgt, da sie zu einer starken Zunahme von Unternehmen in Sektoren führt, die das Reifestadium bei Weitem noch nicht erreicht haben. Die grösste Herausforderung für den Vermögensverwalter besteht deshalb darin, mit der Volatilität zurechtzukommen, die sich aus einer solchen Innovationsfülle ergibt – ganz zu schweigen von der unterschiedlichen Qualität und vom ungleichen Potenzial dieser neuen Akteure. Da dieser Wandel langfristig angelegt ist, müssen die Banken diese neuen Paradigmen nun in ihre Anlagestrategien einbeziehen, ohne die Entwicklung der Realwirtschaft aus den Augen zu verlieren. Diese Synchronisierung ist für die langfristige Wertschöpfung in den Portfolios eine unabdingbare Voraussetzung, wie sich 2021 gezeigt hat, als der angestrebte Wechsel hin zu erneuerbaren Energien und die Bevorzugung entsprechender Investitionen mit dem explosionsartigen Anstieg der Öl- und Gaspreise infolge der rekordhohen Energienachfrage zusammenprallten.
Die gute Nachricht ist, dass die Schweiz ganz eindeutig über die Qualitäten verfügt, um im Bereich nachhaltiger Finanzanlagen führend zu sein. Ihr Aktienmarkt weist eine nur sehr geringe Ausrichtung auf kohlenstoffintensive Sektoren wie Reisen, Fahrzeuge, Energie, Bergbau, Rohstoffe oder öffentliche Versorgung, aber eine hohe Ausrichtung auf Sektoren mit einem überdurchschnittlichen ESG-Rating (Umwelt, Soziales, Governance) – allen voran die Gesundheitssparte – auf. Der «ESG Quality Score» des SPI, des am breitesten gefassten Index des Schweizer Marktes, liegt bei 7,6, derjenige des MSCI All Country World Index bei 7,0. Damit ist die Schweiz in einer hervorragenden Position, um von den Vorteilen dieses unumkehrbaren wirtschaftlichen Wandels zu profitieren.