Finanz und Wirtschaft (17.01.2022) - Norman Villamin, Anlagechef Wealth Management von Union Bancaire Privée, erwartet einen radikalen Kurswechsel in der Geldpolitik. Aktien dürften das besser meistern als Anleihen.
Die Zeiten werden zwar ruppiger, aber mit Aktien ist man für 2022 gut gerüstet. So sieht Norman Villamin die Risiken im Hinblick auf eine nahende Straffung der US-Geldpolitik. Er ist seit sechs Jahren Anlagechef des Wealth Management der Genfer Privatbank Union Bancaire Privée, die in Zürich unter anderem an bester Adresse am Beginn der Bahnhofstrasse gleich gegenüber der Nationalbank residiert. Mit verwalteten Vermögen von 161 Mrd. Fr. zählt UBP zu den grösseren Vermögensverwaltern der Schweiz.
Herr Villamin, die Zins-Futures-Märkte preisen bereits drei bis vier Leitzinserhöhungen durch die US-Notenbank Fed dieses Jahr ein. Was erwarten Sie?
In einer Situation wie jetzt, in der die Inflation hoch und die Arbeitslosigkeit sehr niedrig ist, würde man eine scharfe geldpolitische Reaktion erwarten. Drei bis vier Leitzinserhöhungen sind möglich. Das wäre aber ein riskantes Unterfangen. Ich glaube eher, dass das Fed die Zinsen weniger stark anhebt, vielleicht im März und dann nochmals im Juni, aber danach den Fokus bei der Straffung der Geldpolitik auf die Kürzung der Bilanz verschiebt. Es dürfte dabei noch entschiedener vorgehen als 2017, als es monatlich Papiere im Umfang von 30 bis 40 Mrd. $ verkaufte.
Warum sollte das Fed schon so früh mit der Reduktion des Anleihenbestands beginnen, statt stärker am Leitzins zu schrauben?
Normalerweise ist die Zinskurve in einem Umfeld hoher Inflation und starken Wirtschaftswachstums steil. Aber der Renditeunterschied zwischen zehn- und zweijährigen US-Staatsanleihen beträgt nur gerade 90 Basispunkte. Einige Fed-Mitglieder äusserten sich besorgt, dass eine zu kräftige Erhöhung der Leitzinsen die Zinskurve noch weiter verflacht und sie sogar verdreht wie 2019. Das Fed hat mehrere Instrumente zur Straffung der Geldpolitik, und ich finde, die Bilanz mit Anleihenverkäufen zu verkürzen, dient den Zielen in diesem Zyklus besser als aggressive Zinsschritte.
Von welchen Zielen jenseits der Inflationsbekämpfung sprechen Sie?
Von der Gewährleistung der Finanzmarktstabilität im Allgemeinen und der Verhinderung von Exzessen und Kreditausfällen auf dem Immobilienmarkt. Die Wohnimmobilienpreise sind in den vergangenen beiden Jahren mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 12% gestiegen. Das gab es in den vergangenen fünfzig Jahren nur drei Mal. Ende der Achtzigerjahre vor der Savings-and-Loans-Krise, im Boom vor der Subprime-Krise 2007 und zuletzt in den Jahren 2013/14. Indem das Fed einen Anstieg der Langfristzinsen zulässt, kann es wie 2014 eine sanfte Landung der Wirtschaft anstreben und einen späteren systemgefährdenden Anstieg von Zahlungsausfällen verhindern.
«Etwas höhere Zinsen am langen Ende würden den Immobilienmarkt vor langfristigen Schäden bewahren.»
Aber was, wenn es die Wirtschaft zu stark bremst und die Finanzmärkte zu sehr aufwühlt?
Das letzte und einzige Mal, als das Fed im grossen Stil seine Anleihenbestände veräusserte, war vor drei bis vier Jahren. Damals stiegen die zehnjährigen Treasury-Renditen um 80 bis 100 Basispunkte.
Eine solche Bewegung würde den Immobilienmarkt vor langfristigen Schäden bewahren, aber anderen Bereichen wenig anhaben. Für globale Finanzmärkte wäre ein moderater Renditeanstieg ebenfalls positiv. Die vielerorts sehr tiefen und negativen Realzinsen haben sie zum Überhitzen gebracht.
Fakt aber ist, dass die US-Geldpolitik eine Kehrtwende vollzieht.
Seit der Finanzkrise 2008/09 richten die Zentralbanken ihre Politik so aus, dass manchmal ein Anstieg der Vermögenspreise zugelassen wird, um die Wirtschaft am Laufen zu halten, und manchmal eine Überhitzung der Vermögenspreise verhindert wird, indem sie die Konjunktur etwas bremsen. Anfang 2021 hatte das Anschieben der Wirtschaft klar Priorität, dafür wurden schneller steigende Preise bei Vermögenswerten geduldet. Nun schlägt das Pendel auf die andere Seite aus.
Die Aussicht auf eine Bilanzreduktion, im Jargon auch QT oder Quantitative Tightening genannt, macht Anleger nervös. Zu Recht?
Wenn man sich die Zinserhöhungszyklen der vergangenen fünfzig Jahre anschaut, dann haben die Anleger auch in diesen Phasen Geld verdient, aber die Börsen schwankten stärker. Natürlich werden wir dieses Jahr keine weiteren Avancen von 25% wie im vergangenen Jahr mehr sehen, eher so zwischen 8 und 10%, mit viel Volatilität. Zinserhöhungen und eine straffere Geldpolitik müssen nicht schlecht sein für Aktien, das Problem haben eher die Anleiheninvestoren. In früheren Zinserhöhungszyklen sind jeweils die risikolosen Zinsen gestiegen und oft auch die Renditeaufschläge. Bei so niedrigen Coupons wie heute sind die Gewinne rasch ausradiert.
«Aktien mit verlässlichem Gewinnwachstum schützen am besten vor mehr Volatilität.»
Welche Aktien schlagen sich besser? Value-Titel oder sogenannte Growth Stocks von Wachstumsunternehmen?
Die Rotation von Growth zu Value läuft schon seit November. Doch es wird zu einer Trendumkehr kommen, ähnlich wie vor einem Jahr. Die Schlüsselfrage ist aber nicht, ob Value- oder Wachstumsaktien in diesem Umfeld überlegen sind, sondern wie man mit der erhöhten Volatilität umgeht. Die Antwort lautet: indem man auf verlässliches Gewinnwachstum fokussiert.
Wie meinen Sie das genau?
In der Regel wird die Geldpolitik gestrafft, wenn es der Wirtschaft eher zu gut als zu schlecht geht. So ist es auch dieses Mal. Das heisst, dass die Unternehmensgewinne sich von der starken Seite zeigen, aber gleichzeitig wegen der höheren Zinsen die Bewertungen unter Druck kommen. Wenn man es schafft, Aktien mit robustem Gewinnwachstum zu finden, deren Kurs-Gewinn-Verhältnis nicht allzu arg leidet, dann erhält man ein ausgeglicheneres Renditeprofil in volatilen Zeiten.
Solche Valoren sind in der Regel bereits sehr hoch bewertet.
Es gibt immer wieder Phasen, da sorgen sich Anleger um die hohen Bewertungen, so wie Anfang 2021. Tatsächlich sind die Kurs-Gewinn-Verhältnisse seither gesunken, aber das Gewinnwachstum war genug stark, um den Bewertungseffekt zu kompensieren. Deshalb lautet das Erfolgsrezept: Halten Sie Anteile von Unternehmen, in deren verlässliches Gewinnwachstum Sie Vertrauen haben.
Mit einem solchen Ansatz schliessen Sie viele Titel aus, etwa von noch unprofitablen Unternehmen mit Zukunftstechnologien. Das sind unter Umständen aber die Apples und Amazons von morgen.
Es ist nicht etwa so, dass wir von solchen Aktien die Finger lassen oder davon abraten. Aber sie bedürfen einer komplett anderen Herangehensweise, auch was die Grösse der Investition und den Anlagehorizont betrifft. Man muss sich fragen, ob man Rückschläge von 70% und mehr ertragen kann, denn sie sind im frühen Stadium einer umwälzenden Industrie üblich. Selbst wenn man Ende der Neunzigerjahre gewusst hätte, dass der Onlinehandel einmal so bedeutend wird, wie er es heute ist, und Aktien des führenden Onlinehändlers gekauft hätte, hätte man zwischendurch 90% verloren. Das muss man aushalten können. Aber das schaffen nur wenige.
Wie verhält sich Gold im Umfeld einer strafferen Geldpolitik?
Für Gold wird es schwierig. Das Fed hat seine Absicht signalisiert, die realen Zinsen zu erhöhen, selbst wenn die Inflation nicht so schnell zurückkommt. Steigende Realzinsen sind schlecht für Gold.
Gold hat schon im vergangenen Jahr enttäuscht, trotz mehr Inflation und sinkender Realzinsen. Wie erklären Sie das?
Ein Grund ist die Besonderheit der Coronarezession. Es war zugleich die schärfste und die kürzeste Rezession der Geschichte, gefolgt von der schnellsten Erholung. In jeder normalen Rezession gibt es eine längere Phase mit fallenden Zinsen und Unsicherheit bezüglich der Unternehmensgewinne. Dann nutzen Anleger die relative Attraktivität von Gold zum Kauf. Aber in der Coronakrise 2020 kollabierten erst die Realzinsen, und Gold schoss hoch, wie man es typischerweise erwarten würde. Doch kurz danach hellten sich die Gewinnaussichten bereits auf, und Aktien stiessen bei Anlegern auf mehr Interesse. Ein anderer Grund für das schwache Abschneiden ist womöglich die Konkurrenz von Kryptowährungen, die vor allem bei jüngeren Investoren zur Wertaufbewahrung populär wurden.
Die Rohstoffpreise steigen. Wann kostet ein Fass Rohöl wieder 100 $?
Gut möglich, dass der Ölpreis auf 100 $ steigt, weil das Erdölkartell Opec+ sehr diszipliniert die Förderquoten einhält, während die Wiederöffnung der Ökonomien für eine kräftige Ölnachfrage sorgt. Die erdölexportierenden Länder wollen die Preise hoch halten, um den Umbau ihrer Wirtschaft weg vom Öl zu finanzieren. Paradoxerweise führt auch die Dekarbonisierung zu einem höheren Ölpreis. Da viele Banken bei der Kreditvergabe die Wirkung aufs Klima berücksichtigen, fliesst weniger Geld in die Exploration und den Bau neuer Förderanlagen, wodurch das künftige Angebot zurückgeht. Aber gleichzeitig sind für die Investitionen in den Übergang zu einer grünen Wirtschaft energieintensive Materialien und fossile Treibstoffe nötig.
Sehen Sie ähnliche Muster auch bei anderen Rohstoffen?
Es gibt in vielen Segmenten eine starke strukturelle Nachfrage und Angebotsengpässe. Der Übergang zur grünen Wirtschaft ist ein langfristiger Nachfragetreiber, aber Schlüsselrohstoffe wie Kupfer und Lithium sind knapp. Die Weltwirtschaft befindet sich wegen der Pandemie in einer Neuorganisation der Lieferketten, mit mehr Onshoring und einer besseren Diversifikation der Zulieferer. Das führt zu einem Investitionszyklus, der sich von vorhergehenden unterscheidet.
Wie sieht der neue Investitionszyklus aus?
Seit der Jahrtausendwende waren die Anlageinvestitionen stark auf die Digitalisierung ausgerichtet, und es wurden faktisch nur ein paar neue Server gekauft. Künftig aber werden mehr smarte und grünere Produktionsstätten in der Nähe gebaut, wozu es nicht nur schwere altmodische Rohstoffe wie Stahl braucht, sondern auch hoch moderne Materialien und Mikrochips.