Allerdings muss das Schwein, das von Natur aus gefrässig ist, auch im Auge behalten werden, da eine zügellose Gier negative Auswirkungen haben kann. Es gilt also, zuversichtlich zu sein, aber nicht zu übertreiben.
Das ist ungefähr die heutige Einstellung der US-amerikanischen Federal Reserve (Fed). Seit «Geduld» das neue Zauberwort ihres Vorsitzenden Jerome Powell ist, hat die Zentralbank einen ganz anderen Ton angeschlagen. Waren vor einigen Wochen noch zwei oder drei weitere Zinsanhebungen absehbar, so verlautbart die Fed nun, sie wolle bei der Straffung ihrer Geldpolitik eine Pause einlegen.
Einfluss von Trump und Shutdown
Dieser Umschwung von einem überaus positiven Wachstumsszenario zu mehr Zurückhaltung (Jerome Powell nennt es «wait and see») führte an den Obligationenmärkten zu einem deutlichen Rückgang der Renditen – und dies trotz des rekordhohen Stellenaufbaus. So sind die 10-jährigen US-Renditen von 3,25% im November auf derzeit 2,55% gesunken. Obwohl die Fed immer wieder auf ihre Unabhängigkeit pocht, ist es durchaus denkbar, dass die scharfe und wiederholte Kritik Donald Trumps an der Währungshüterin zu deren Kurswechsel beigetragen hat – genauso wie die negativen Auswirkungen des Shutdown auf die Wirtschaft, der einen Grossteil der US-Verwaltung während eines Rekordzeitraums von 36 Tagen lahmgelegt hat.
Noch entscheidender war aber, dass im vergangenen Herbst Zweifel an den Perspektiven der grossen Technologieunternehmen aufgekommen waren. Der Geschäftsgang dieser internationalen Konzerne gilt nämlich als zuverlässiger Indikator für den Trend des Weltwirtschaftswachstums. Gewinnwarnungen wie diejenige, die vor Kurzem Apple abgegeben hat, führen zwangsläufig dazu, dass die Nachhaltigkeit des Wachstums infrage gestellt wird.
Nach der Börsenpanik zum Jahresende setzen die Anleger ihre Hoffnung nun auf die unerwartete Zurückhaltung der Fed und auf einen Durchbruch bei den Verhandlungen zwischen Washington und Peking, der bis zum 1. März eine Lösung im Handelsstreit bringt. Der – übertriebene – Kursverfall vom Dezember 2018 konnte teilweise korrigiert werden, da der S&P 500 den besten Jahresauftakt seit mehr als drei Jahrzehnten hingelegt hat. Per Ende Januar 2019 lag der Dow Jones im Vergleich zum Vorjahr nur noch 4,4% und der Nasdaq lediglich 1,75% im Minus.
Das relativ günstige Szenario, das bevorzugt wird – jenes einer sanften Landung in den USA und in China – spricht für eine gewisse Stabilität an den Finanzmärkten – dies umso mehr, als die Korrekturen im zweiten Halbjahr 2018 in sämtlichen Anlagekategorien für Entspannung bei den ausgereizten Bewertungen gesorgt haben.
Zwar ist das KGV des Nasdaq mit 34 per Anfang Februar im historischen Vergleich immer noch hoch, doch liegt es deutlich unter seinem Höchststand von März 2018 (52) und seinem Durchschnitt der letzten zwölf Monate (42). Auch beim KGV des Dow Jones, das vor einem Jahr bei 21 lag, gibt es nun wieder etwas Luft nach oben, beläuft es sich doch derzeit auf 16,3.
Gute Nachrichten aus China
Die Geschichte lehrt uns, dass es eine überaus heikle Aufgabe ist, durch einen Wirtschaftsabschwung zu navigieren. In diesem Zeitraum «zwischen zwei Fahrwassern», in welchem sich die Hoffnung auf eine Fortsetzung des Wachstums und die Angst vor dem Ende des Konjunkturzyklus gegenüberstehen, ist daher Vorsicht angezeigt. Angesichts dieser Unsicherheit werden die wichtigsten Wirtschaftsindikatoren das Zünglein an der Waage spielen. Zwar steigt der Ölpreis seit Beginn des Jahres wieder stark, doch ist dieser Indikator aufgrund der Krise in Venezuela und der eigenen Berechnungen der OPEC weniger aussagekräftig.
Die Wirtschaftsdaten aus den USA und China sowie die gemeldeten Unternehmensgewinne hingegen sollten kritisch analysiert werden. Obwohl der Handelskonflikt die Exporte Chinas schwer in Mitleidenschaft ziehen könnte, ist es paradoxerweise durchaus möglich, dass die guten Nachrichten gerade aus diesem Land kommen. Die chinesischen Werte – namentlich diejenigen aus dem Technologiesektor – haben sich wieder gefangen und die chinesische Börse gehört seit Jahresbeginn zu den Spitzenreitern.
Verblüffende Rückkehr der Volatilität
Wie dem auch sei, eine solche Konstellation spricht für ein asymmetrisches Portfoliomanagement. Es gilt, das Aktienexposure beizubehalten, doch muss dieses durch Derivate und strukturierte Produkte abgesichert werden, um die Portfolios vor möglichen Marktrückschlägen zu schützen.
Zudem werden die Anleger mit einer Variablen zurechtkommen müssen, die zu berücksichtigen sie nahezu verlernt haben – der Volatilität. Grund dafür ist, dass die Politik wieder die Oberhand über die Wirtschaft und den Finanzbereich gewonnen hat. Jahrelang schien ihr Einfluss auf die Finanzmarktentwicklung nur sekundär gewesen zu sein – bis sich mit der Wahl von Donald Trump das Blatt gewendet hat.
Die verblüffende Rückkehr der Volatilität ist also eine Folge der offensiven Handelspolitik des amerikanischen Präsidenten. Auch dessen Missachtung der Unabhängigkeit der Fed belegt, dass er fest entschlossen ist, die Kontrolle zu übernehmen. Doch auch Europa steht in nichts nach. Angesichts der anstehenden Meilensteine (Brexit, Europawahl usw.) und der zahlreichen Regierungen, die unter Druck sind, stehen die Zeichen auf konsequentere und vor allem weniger vorhersehbare Entscheidungen.
Michel Longhini
CEO Private Banking